Ist denn reich sein etwas Böses? Sich satt essen können, das sollten wir doch allen Menschen wünschen. Lachen und Spaß haben gehören zu einem glücklichen Leben. Und von den Menschen gelobt werden macht Freude und tut gut. Soll all das schlecht sein? Macht Jesus mit seinen Worten all das „madig“, was doch ein gutes, gelungenes Leben ausmacht? Warum diese Wehe-Rufe über alles, was sich „normale Menschen“ wünschen? Es muss ja nicht der riesige Reichtum der Superreichen sein, aber wenigstens nicht die dauernd drückenden Sorgen, wie finanziell über die Runden zu kommen ist. Und werden wir nicht ständig daran erinnert, dass wir dankbar sein sollen, nicht Hunger leiden zu müssen? Satt zu werden ist doch etwas Gutes! Freude im Leben zu haben tut gut. Schön, wenn es etwas zum Lachen gibt. Anerkennung und Lob braucht jeder Mensch. Schlimm, wenn sie fehlen.
Und das soll alles schlecht sein? Gönnt Gott uns Menschen nicht das Glück? Jesus hat doch eine Frohbotschaft angekündigt. Kommt stattdessen eine Drohbotschaft? Die Drohungen sind ja nicht harmlos. Alles Unglück wird denen verheißen, die es jetzt guthaben. Einmal wird es ihnen richtig schlecht gehen.
Glücklich, ja selig nennt Jesus dagegen die Menschen, denen es jetzt an allem fehlt, was man normalerweise als Glück bezeichnet: die Armen, Hungernden, Trauernden und Verachteten. Ist das nicht eine verkehrte Welt? Ich gestehe, dass ich mir selber nicht leichttue, diese Worte Jesu ganz zu verstehen. Oder sind sie doch einleuchtend, wenn wir sie im Herzen aufnehmen und in uns wirken lassen?
Ich sehe in diesem vierfachen Wort Jesu über „selig“ und „weh“ zuerst einen großen Trost. Jesus erinnert daran, dass es eine Gerechtigkeit gibt, die in dieser Welt oft ausbleibt, die es aber in der kommenden Welt geben wird. Es wird einen großen „Lohn im Himmel“ geben für alle, die hier zu leiden hatten. Vertröstung auf eine bessere Zukunft? Was haben die Armen und Hungernden jetzt davon? Sättigt ein solches Versprechen, wenn man Hungersnot leidet?
Jesu Botschaft ist alles andere als eine billige Vertröstung auf ein glückliches Jenseits. Sie hat eine ganz starke soziale Seite, die sich direkt auf dieses Leben auswirkt. Sein „Weh euch“, das er den Reichen, Satten, Lachenden und von allen Gelobten entgegenhält, ist eine Warnung: Vergiss in deinem Wohlergehen nicht die, die Not leiden! Übertöne nicht mit deinem lauten Spaß die Trauer und die Tränen derer, die keinen Grund zum Lachen haben.
Die Welt schaut auf die Reichen und Erfolgreichen. Jesus hat nicht den Besitz schlechtgemacht, nicht die Freude abgelehnt. Armsein ist nicht für sich schon etwas Wünschenswertes. Aber immer wieder hat er eindringlich davor gewarnt, dass Reichtum und das Lob der Menschen blind und hartherzig gegen die Armen und Notleidenden machen kann. Und er hat daran erinnert, dass es oft die Armen sind, die ein offeneres Herz haben als die Reichen. Diese Worte Jesu haben eine tiefe, nachhaltige Wirkung bis heute. Soziale Gerechtigkeit, Sorge für die Notleidenden, Hilfe für Hungernde: all das ist tägliche, praktische Umsetzung des Evangeliums Jesu. Nicht Jesu Worte zeigen eine verkehrte Welt. Im Gegenteil, sie bringen unsere verkehrte Welt wieder ins Lot.
Kardinal Schönborn