Zwei Nachrichten, wie sie uns tagtäglich begegnen. Die eine wird Jesus berichtet. Die andere erzählt Jesus selber. Die eine ein brutales Massaker, die andere ein tragisches Unglück. Pilatus, der römische Statthalter, hat wieder einmal blutig seine Grausamkeit gezeigt. Der Tempel in Jerusalem war das Herz des religiösen Lebens des Judentums. Gerade dort zeigte sich immer wieder der Freiheitsdrang des unterdrückten jüdischen Volkes. Und ebendort geschah es immer wieder, dass vom römischen Besatzer die aufkeimenden Aufstände sofort im Blut erstickt wurden.
So etwas war wieder einmal geschehen. Pilger aus Galiläa, der Heimat Jesu, wurden zusammen mit den Tieren, die sie im Tempel opfern wollten, niedergemacht, "so dass sich ihr Blut mit dem ihrer Opfer vermischte".
Was sagst du dazu? So fragen die Leute Jesus. Was wollen sie hören? Was steht hinter ihrer Frage? Wir stellen oft einander ähnliche Fragen. Hast du schon gehört? Hast du im Fernsehen gesehen? Was sagst du dazu? Für Jesus konnte das damals eine Fangfrage sein. Vielleicht wollten die Leute von Jesus eine Verurteilung der bekannt brutalen Art des römischen Besatzers hören. Wir suchen ja auch heute immer gleich Schuldige, die wir für ein Unglück anprangern können.
Jesus dreht die Frage völlig um. Sucht nicht Schuldige! Lasst die Schuldfrage aus dem Spiel. Ist dieses Massaker passiert, weil das vielleicht eine Strafe Gottes war? Haben die Opfer es vielleicht gar selber verdient, dass ihnen so Schreckliches widerfahren ist? Um alle solche Spekulationen abzublocken, erinnert Jesus an eine andere Nachricht: In Jerusalem ist ein Turm eingestürzt und hat achtzehn Menschen unter seinen Trümmern begraben. Was sagt ihr dazu? Was soll da die Schuldfrage?
Wie gehen wir mit den täglichen Schreckensnachrichten um? Jesus erinnert uns an etwas ganz Einfaches: Das kann einem jedem von uns passieren! Und vor Unglücken ist keiner von uns versichert.
Wie also damit umgehen? Sollten wir uns nicht bei allen diesen Unglücksmeldungen immer auch die Frage stellen: Was hat das mir zu sagen? Muss nicht ich selber mich besinnen? Was würde ein solcher Unfall für mein Leben bedeuten? Kann nicht jeder Tag mein letzter sein? Jesus sagt es in einem etwas herben und harschen Ton: Ihr werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt!
Um Bekehrung geht es also. Das will Jesus mit dem Gleichnis zeigen, das er dazu erzählt. Warum ist mir bisher kein solches Unglück passiert? Nicht weil du besser bist als die Opfer! Weil Gott mit dir geduldig ist, bist du vor solchem Geschick bewahrt geblieben! Du bist wie dieser Feigenbaum im Weingarten. Eigentlich gehört er längst umgeschnitten. Er laugt nur unnütz den guten Boden aus. Jesus aber ist wie der Weingärtner. Er sagt dem Besitzer: Hab noch ein Jahr Geduld! Vielleicht bringt der Baum dann doch noch Feigen.
Wie wäre es, wenn wir mit den täglichen Nachrichten so umgingen? Das alles könnte ja auch mir passieren! Solche Besinnung kann mein Leben zum Guten wenden!
Kardinal Schönborn