Tintoretto - Christus am See Tiberias
Tintoretto - Christus am See Tiberias

Unser Leben ist wie eine Überfahrt. Mit der Geburt, eigentlich schon mit der Empfängnis, beginnt die Lebensreise über die Wasser, mit gutem Wind, durch Stürme und Wellen, auf das Ziel hin, das andere Ufer des Lebens, das Land der Ewigkeit. Das Bild der Überfahrt ist vielen Religionen vertraut, den alten Ägyptern, dem Buddhismus. Alle bewegt die Frage, wie das Schiff des Lebens an Klippen vorbeikommt, den Schiffbruch vermeidet, durch Stürme und Gefahren hindurch steuert, um schließlich den sicheren Hafen der Ewigkeit zu erreichen.

 

Warum kommt mir dieses Bild in den Sinn, wenn ich über das heutige Evangelium nachdenke? Es ist die ganz eigene Atmosphäre dieser Morgenstimmung am See Genezareth. Ich habe viele Jahre die Woche nach Ostern am See Genezareth verbracht, gemeinsam mit Bischöfen aus der ganzen Welt. Immer neu war es ein tiefes Erleben, die Begegnungen mit Jesus nach seiner Auferstehung zu betrachten und sie selber im Herzen mitzuerleben.

 

Blicken wir noch einmal auf die Ereignisse. Die Jünger haben Jesus sehen dürfen. Er ist ihnen erschienen. Er lebt. Die Freude ist groß. Aber das Leben muss weitergehen. Was tun? Zurück zum alten Beruf, den sie verlassen hatten, um mit Jesus zu gehen. Also wieder fischen! Und gleich die Erfahrung, dass sie eine Nacht lang vergeblich die Netze auswerfen. Da steht im Morgengrauen ein Mann am Ufer und fragt, ob sie Fische haben. Denken sie, er will ihnen von ihrem frischen Fang ein paar Fische abkaufen? Aber sie haben nichts gefangen. Der Fremde sagt, sie sollen es noch einmal probieren. Unfassbar: Das Netz ist randvoll! Da dämmert es ihnen. Das hatten sie doch schon einmal erlebt, damals, ganz am Anfang, als sie alles verließen, um Jesus zu folgen. Johannes erfasst es als Erster: „Es ist der Herr!“ Und Petrus, wie immer ganz spontan, wirft sich ins Wasser und schwimmt zu Jesus ans Ufer. Die anderen kommen nach mit dem Boot und dem Netz voller Fische. Am Ufer erwartet sie Jesus. Ein Feuer brennt, gebratener Fisch und Brot sind bereit. Jesus lädt sie ein, ganz schlicht: „Kommt her und esst!“ In dieser Morgenstunde frühstücken sie gemeinsam.

 

Warum kommt mir dabei das andere Ufer in den Sinn, das Ufer des anderen, ewigen Lebens, auf das hin wir alle unterwegs sind? Weil Jesus selber bereits am anderen Ufer ist. Der Auferstandene ist weder zu Fuß noch per Boot an diesen Platz am Ufer gekommen. Er ist heimgekehrt zu Gott, seinem Vater. Die Jünger spüren, dass er „von drüben“ zu ihnen kommt. Sie wagen nicht, ihn zu fragen. Aber sie spüren, dass sie selber auch schon ein wenig „am anderen Ufer“ sind.

 

Für mich ist Ostern die Ahnung, dass mitten in unserem täglichen Leben, Arbeit, Ruhe, Sorgen, der Auferstandene da ist. Er erwartet uns, lädt uns ein. Er ist „drüben“ und doch ganz nahe bei uns, wie bei diesem Frühstück am anderen Ufer.

 

Kardinal Schönborn



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